Reifeentwicklung trockener Rieslinge – Jahrgang 2004

von Thorsten Mücke und Rainer Kaltenecker

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Nach dem Jahrgang → 2001 kommen wir nun zu dem zweiten der großen unterbewerteten Jahrgänge der letzten 15 Jahre. Im Schatten seiner heißen Brüder ist der Jahrgang 2004 lange unbemerkt geblieben, auf der Langstrecke zeigt sich jedoch, dass er sich am besten entwickelt hat. Anfangs als unreif und phenolisch verschrien, beweist er heute, was Rieslinge aus kühleren Jahren und nicht zu viel Öchsle im Lesegut können. 2004 bietet aktuell häufig mit Abstand die schönsten Weinen, die – im Gegensatz zu 2001 und 2002 – oft sogar noch Potenzial für die weitere Entwicklung haben. Die Verkostung konnte das bestätigen. In den nächsten Flights erklommen wir endgültig den Riesling-Gipfel.

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Wieder machte ein Elsässer den Anfang. Und der legte die Latte gleich sehr hoch. Der Clos Saint-Hune 2004 liefert in der diskreten, aber zugleich tiefen Nase eine reife Zitrusfrucht, helles Biskuit, Limette, eine Art Champagner unter den Rieslingen. Im Antrunk fächert die Aromatik richtig auf, Mandarine, Steinfrucht, eine elegant gemäßigte Extraktsüße, eine zarte Apfelnote, sehr reintönig, sehr verspielt und sehr lang. Die rassige Säure ist kaum gereift, mit der kalkigen Mineralität sorgt sie für eine messerscharfe Struktur. Der Wein hat Druck, bleibt aber kompakt, frisch und schlank. Viel Finesse, puristisch, groß, Potenzial für viele weitere Jahre. Laut einer Anfrage beim Weingut hatte man damals Sorge, dass die Trauben für diesen Wein nicht richtig ausgereift waren. Heute ist man bei Trimbach selbst überrascht von seiner Qualität. Welch Understatement, das hier ist einer der ganz großen Rieslinge. Die Runde ist hingerissen, bejubelt den kühlen Sommer von 2004 und vergibt mit voller Überzeugung 97 Punkte.

Auf höchstem Niveau sollte es weitergehen mit dem nächsten Elsass-Wein, wenn auch mit einem gänzlich anderen Stil. Ganz aus dem Süden von vulkanischem Boden stammt der Domaine Zind-Humbrecht Rangen de Thann Clos Saint-Urban 2004. Erstaunlich, wie sehr sich das in seinem Auftritt bemerkbar macht. Eine rauchige Nase mit reifen Orangen, Mandarinen, Kräutertee und Handcreme – opulent, schwelgerisch und doch mit ganz viel Spiel, Komplexität und Expressivität. Im Mund setzt sich das fort mit von Rauchnoten umströmten kandierten Früchten, ätherischen Kräuternoten, Honig, reifer rote Grapefruit. Der Wein wirkt kräftig, durchaus sogar wild und komplex in seiner ausgeprägten Buketthaftigkeit. Es gibt eindeutig Nachweise von Botrytis, die aber gut eingebunden ist. Die Säure ist reif und tief integriert, die opulente, rauchige Frucht spielt die Hauptrolle. Ein opulenter Wein, der in sich ruht und uns wieder einmal für diesen unvergleichbaren elsässischen Stil begeistert. Auch wenn der eine oder andere in der Runde kritischer mit dem extraktsüßen Auftritt umgeht, zücken wir 95 Punkte.

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Nach diesem elsässischen Crescendo erfolgte ein harter Bruch. Von jetzt auf gleich bewegten wir uns an die Nahe mit vier Weinen von den großen vier Weingütern Dönnhoff, Emrich-Schönleber, Schäfer-Fröhlich und Diel.

Der Dönnhoff Niederhausen Hermannshöhle 2004 zeigt sich ungemein kräuterig, steinig, leicht nussig, mit schlanker weißer Steinfrucht und vegetabilen Noten. Im Antrunk ist der Wein so, wie es die Nase verspricht, schlank, ernsthaft, mineralisch, jetzt Aromen von Orangen, Mandarine, Zitrus, ausgeprägte mineralische Würze. Die Säure ist pikant, gehaltvoll, dominant und wird durch ein kleines Zuckerschwänzchen gepuffert. Ein straffer Auftritt, nicht ganz so komplex, aber ganz einfach wunderbar strukturiert – Hermannshöhle eben! Wir sind uns einig mit 94 Punkten.

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Duftige Kräuter, Gewürze und eine deftige, wilde, rauchige, dunkel-würzige Mineralität zeigt der Emrich-Schönleber Monzinger Halenberg 2004 in der Nase. Im Antrunk fächert der Wein aromatisch auf und bleibt dabei leicht herb mit Noten von Schießpulver, Orangenzesten, Grapefruit. Er hat viel Zug, bleibt aber voll in der Spur. Ein großer, tief mineralischer deutscher Riesling mit Tabak, viel Kräutern und glockenklarer Frucht. Der Wein kommt vor allem über seine Transparenz und seine Klarheit, im Verlauf passiert so sagenhaft viel. Der Abgang ist sehr lang. Ein Gänsehaut-Moment, ein Großes Gewächs mit herrlichem Trinkfluss und überhaupt ein Wein, bei dem zurzeit einfach alles stimmt. Viel besser geht deutscher Riesling nicht. Die Runde ist einhellig begeistert und vergibt 95 bis 96 Punkte.

Die gleiche Lage, das gleiche Jahr, aber einen ganz anderen Stil präsentiert der Schäfer-Fröhlich Monzinger Halenberg 2004. Eine zurückhaltende Nase mit weißen und grünen Früchten, auch etwas Lakritz. Und auch im Mund will sich der Wein nicht richtig öffnen. Kräuterige Ansätze, eine pikante Säue, viel Zug, ungeheuer kühl und straff, jugendlich, seltsamerweise überhaupt nicht entwickelt. Der Wein hat ohne Zweifel Potenzial und macht mit seiner Straffheit auch schon Spaß. Doch bietet er aktuell einfach zu wenig, um bei den ganz großen Rieslingen in diesen Flights mitzuhalten. Ein wahrer Schläfer unter den Großen Gewächsen. Wann er wohl erwachen wird? Wir haben Hoffnung und vergeben 88 bis 90 Punkte mit einem großen Plus.

Der letzte Wein im Flight ist der Schlossgut Diel Dorsheimer Burgberg 2004. Und es zeigt sich einmal mehr, dieser Wein hat wenig zu tun mit den anderen größten Gewächsen an der Nahe. Diel vertrat zumindest noch damals eine andere Philosophie, die sich in diesem Wein recht gut wiederfindet. Und die richtig gut zu gefallen weiß! Die Nase duftet nach Lack, ein Wein wie frisch gestrichen, die gelbe Frucht dahinter ist aber expressiv, reifer gelber Apfel und noch mehr Zitrone, dunkle Würzigkeit, ätherische, fast parfümierte Noten wie von Rosenöl, opulenter, kraftvoller, trotzdem harmonischer Stil. Ebenso ist das im Antrunk. Der Wein ist aromatisch und cremig, die Säure ist rassig und hat richtig viel Frische, der Körper ist wuchtig, durch die Kraft dringt aber eine starke Mineralität, der Abgang ist sehr lang. Dieser Wein dürfte sich noch gut entwickeln. Die Runde honoriert das aber nur zum Teil. KA notiert fehlenden Trinkfluss und findet die Aromen fast schwülstig. Dieser opulente Riesling-Stil ist einfach nicht jedermanns Sache. Wir liegen ganz weit auseinander mit 88 bis 95 Punkten und sind froh, dass wir keine echten Weinkritiker sind!

Und hier findet Ihr alle Teile aus der Artikelreihe:

→ Teil 1: Letztes Jahrhundert
→ Teil 2: Jahrgang 2003
→ Teil 3: Jahrgang 2001
→ Teil 4: Jahrgang 2004
→ Teil 5: Jahrgang 2002
→ Teil 6: Jahrgang 2005
→ Teil 7: Jahrgang 2006

Weitere Berichte von dieser Probe und auch manch ganz andere Bewertung einiger Weine findet Ihr bei Achim Becker (→ Weinterminator.de), Felix Bodmann (→ Schnutentunker.de) und Matthias Neske (→ Chezmatze.de). Für die Fotos danken wir → Weinkaiser.de.